An Laatzens Marktstraße prallen derzeit zwei Zeitalter aufeinander. Der südliche Abschnitt ist bereits für freilaufende Menschen ausgebaut, der nördliche Teil ist noch “Blechkiste only”.
Das neue Verkehrskonzept kann erst seinen Zweck erfüllen, wenn alle Abschnitte der Straße umgebaut sind. Vorher ist natürlich mit keiner Verbesserung zu rechnen, weil der schöne Abschnitt nur über den gefährlichen erreichbar ist.
Um es Situation für Situation durchzugehen:
Erstes Foto, Marktstraße Nord, aufs Leine-Center zu.
1) Dieses Schild weist eine Tempo-30-Strecke aus. Es bezieht sich auf genau diese Straße bis zur jeweils nächsten Einmüdung. Hier gelten die gleichen Verkehrsregeln wie überall. Bitte verwechselt eine 30-Strecke nie mit einer 30-Zone. Denn eine 30-Zone gilt für alle Abzweigungen bis zum ausgeschilderten Zonen-Ende, erfordert bestimmte Baumaßnahmen und verbietet getrennte Radwege. Hier haben wir es jedoch mit einer 30-Strecke zu tun, die sich genauso verhält wie eine 50-Strecke.
2) Auf dem Rand zwischen Fahrspur und Radweg dürfen Autos parken, also auch die Türen öffnen. Das heißt, Radfahrer müssen damit rechnen, von einer aufschwingenden Autotür getroffen zu werden. Obwohl man auf dem Gehweg (siehe 3) fährt, besteht also ständig die Gefahr eines Autounfalls. (Auf einer anderen Straße ist mir das bereits passiert. Ich fuhr absolut korrekt, als mir ein Parkender ohne Vorwarnung seine Tür ins Knie knallte. Tat höllisch weh. Es sollen auch schon viele Radler gestorben sein, nachdem sie von einer Autotür in den fließenden Verkehr gekippt wurden.)
3) Was von der Pflasterfarbe wie ein Radweg anmutet, ist in Wirklichkeit ein zweifarbiger Gehweg. Fahrräder sind hier nur geduldet, sie müssen Fußgängern in jedem Fall Vorrang einräumen. Damit sind Konflikte vorprogrammiert, wenn die einen eilig durch die Stadt wollen, während die anderen sich nach dem Einkaufsbummel breit machen. Besonders spannend wird es, wenn ein schneller Radler einen langsamen überholt. Solche Wege führen dazu, dass Fußgänger und Radfahrer einander als “Feinde” wahrnehmen: Sie werden an denselben Rand gedrängt und kämpfen dort um jeden Zentimeter.
Mit der Türöffner-Zone links und den Fußgängern rechts sind Radfahrer “eingeklemmt”. Überholen ist unmöglich. Das heißt, sobald ein langsamer Radler oder eine größere Fußgängergruppe den Weg versperrt, kann man nur auf die Straße ausweichen. Zwischen den parkenden Autos hindurch - das geht kaum ohne Lackkratzer. Dabei in den fließenden Verkehr einfädeln - das geht kaum ohne Lebensgefahr.
4) Alternativ darf man natürlich auf der Fahrbahn radeln. Der dafür vorgesehene Schutzstreifen führt direkt in die parkenden Autos und endet dort. Das heißt, den Schutzstreifen hat man nur, solange man ihn nicht dringend braucht. Genau wo es wirklich eng wird, muss man sich in den fließenden Autoverkehr einfädeln. Das mag abends und sonntags gehen, im Berufsverkehr ist es aber keine Lösung.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass laut StVO Kinder ab 10 Jahren auf der Straße fahren müssen. Eine Fahrrad-Infrastruktur ist also genau dann benutzbar, wenn Ihr sowohl Euer zehnjähriges Kind mit ADHS, als auch eure 88-jährige Mutter mit Parkinson darauf fahren lassen würdet. Alles andere ist schlichtweg keine Fahrrad-Infrastruktur.
Soviel zum alten Zustand. Kurz dahinter beginnt der umgebaute Abschnitt, freilaufende Menschen (ohne Blechkasten) haben eine sichtbare Daseinsberechtigung. Ich sehe viel Sinnvolles:
Zweites Bild: Marktstraße Süd, vor dem Stadthaus
1) Nach wie vor liegt eine Tempo-30-Strecke vor. Keine Zone, also ist jede Vorfahrtregelung und jede Bauform für den Straßenrand zulässig.
2) Fußgänger und Radfahrer werden in getrennten Spuren über die Einmündung geführt. Das verhindert die üblichen Konflikte zwischen Kinderwagen, Rollatoren und Fahrrädern, die an anderen Übergängen um die abgesenkte Bordsteinkante konkurrieren. Die Radspur wird lückenlos neben der Autospur geführt, so dass Radfahrer von abbiegenden Autofahrern rechtzeitig gesehen werden. So hat man eine Chance, dass die Vorfahrt des Geradeaus-Verkehrs auch wirklich geachtet wird. Fußgänger haben laut StVO leider keinen Vorrang vor abbiegenden Autos, deshalb wird ihre Spur erst hinter der Kurve über die Straße geführt, wenn die Autofahrer nach abgeschlossenem Abbiegemanöver wieder vollständig hingucken.
3) Im weiteren Straßenverlauf sind alle Verkehrsteilnehmer durch jeweils eine Baumreihe getrennt. Bald wird sie groß genug sein, um Schatten zu spenden, den Wind zu bremsen und die Luft zu reinigen.
Konflikte durch seitlich parkende Autos (Türen!), illegale Fußwegparker, quer rennende Hunde oder spielende Kinder sind minimiert. Allen Menschen steht ungefähr gleich viel Platz zur Verfügung, egal womit sie unterwegs sind. Niemand wird an den Rand gedrängt.
Die Querungen heben sich mit Farbe und Bodenbelag deutlich ab. Man sieht also rechtzeitig, wo man besonders aufpassen muss; sogar Blinde können diese Kreuzungen mit dem Stock ertasten.
4) Vor der Haltestelle gibt es eine ausreichend große Wartezone. An vielen anderen Haltestellen in Laatzen muss man auf dem Gehweg warten und dann quer über den Radweg einsteigen. Hier wurde eine vorbildliche Lösung für stressfreies und sicheres Einsteigen gefunden.
Jetzt drehen wir uns um und wollen zurück. Damit beginnen die Probleme.
Drittes Bild: Zeitenwende von Süden nach Norden
1) Genau am Übergang zur alten Marktstraße endet der Radweg. Man muss jetzt irgendwie auf die rechte Straßenseite wechseln. Aber wie?
Ich sehe nirgendwo eine Ampel. Durch die Parkplätze in der Fahrbahnmitte ist die Straße auch zu unübersichtlich, um sie mal eben so zu überqueren. Hier muss man entweder Glück haben oder links abbiegen und das Leine-Center umrunden.
2) Auf der anderen Straßenseite hat man wieder die Wahl zwischen Fußgängern und drängelnden Autos. Von sich öffnenden Autotüren kann man überall erschlagen werden, da man in jedem Fall neben Längsparkern her fahren muss.
Wo bisher maximal zwei Personen nebeneinander strikt vorwärts gehen konnten, dürfen jetzt auch Kinder herum wuseln und Hunde ins Straßenbegleitgrün… Ihr wisst schon.
Das heißt, hier wurde ein Ort für Menschen geschaffen. Man darf freiwillig draußen sein, weils geht, um draußen zu sein. So wird es langsam aber sicher möglich, dass sich das Leben irgendwann wieder von den Fernsehbildschirmen raus in die Stadt verlagert.
Die alte Infrastruktur hingegen hat die Menschen in die Wohnungen genötigt, “das Draußen” wurde ihnen nach allen Regeln der Kunst mies gemacht. Auf der neuen Marktstraße ist man plötzlich gerne unterwegs.
Der alte Nordabschnitt der Marktstraße schreckt noch davon ab, sich anders als im Auto fortzubewegen. Denn mit Auto hat man die volle Straßenbreite zur Verfügung, ohne ist man eine diskriminierte Randerscheinung. Da man sich derzeit noch über den alten Abschnitt quälen muss, um den neuen zu nutzen, verpufft die Verbesserung bisher. Um einen Teil des Einkaufs- und Berufsverkehrs vom Pkw auf andere Verkehrsmittel zu locken, müsste
1) die gesamte Straße bis zum Messegelände so ausgebaut werden,
2) ein Anschluss an den ebenfalls dringend nötigen Radschnellweg nach Hannover geschaffen werden,
3) eventuell auch der Busfahrplan verdichtet werden.
Der Ausbau der Nordteils ist absolut notwendig, damit der Ausbau des Südteils nicht umsonst war. Die Stadt lädt zu einem Workshop ein. Vielen Dank für jede Bürgerbeteiligung! http://www.laatzen.de/de/veranstaltungskalender-detail/event/45478,1191/workshop-marktstrasse---2--3-bauabschnitt-09-03-2017.html